International Day of Women and Girls in Science - Interview mit Sue Schreiner
Ingenieurwesen | Menschen thyssenkrupp rothe erde |
11. Februar 2023
Sue Schreiner ist Metallurgin, eine Ingenieurin aus dem Bereich der Materialwissenschaften, bei thyssenkrupp rothe erde USA Inc. in Aurora, Ohio. Anlässlich des "Internationalen Tages der Frauen und Mädchen in der Wissenschaft" haben wir mit ihr gesprochen. Wir wollten wissen, wie und warum sie Ingenieurin geworden ist und welche Tipps sie jungen Frauen geben kann, die diesen Beruf ergreifen wollen.
Ihr seid nicht die ersten jungen Frauen, die vor diesen Hürden stehen.
Sie sind Metallurgin: Bitte erklären Sie, was Sie bei thyssenkrupp rothe erde tun.
Sue Schreiner: Ein Metallurge ist dafür verantwortlich, die Beziehung zwischen der Struktur, den Eigenschaften und der Verarbeitung von Materialien zu verstehen. Metallurgen sind speziell für das Verständnis von Metallen zuständig. Sie sind also in der Produktion tätig und beaufsichtigen die Materialien, die reinkommen. Ich bin die einzige Metallurgin in meiner Abteilung, daher ist meine Aufgabe recht vielfältig. An vielen Tagen befasse ich mich mit der Validierung der Rohstoffe, die wir einkaufen und die schließlich zu unseren Produkten werden. Ich kümmere mich um die Verfahren zum Erhitzen, Schmieden, Wärmebehandeln und Testen unserer Werkstoffe, um zu prüfen, ob sie die von unseren Kunden gewünschten Leistungen erbringen können. Wenn im Prozess etwas schiefläuft oder etwas kaputtgeht, werde ich oft hinzugezogen, um sicherzustellen, dass wir verstehen, was im Herstellungsprozess falsch gelaufen ist. Ich analysiere Proben im Labor und schreibe Berichte. Manchmal geht es dabei um die technische Ausbildung meiner Kollegen, manchmal um die Auslegung der Spezifikationen durch die Kunden.
Wie ist das Verhältnis zwischen Männern und Frauen in Ihrem Bereich?
Sue Schreiner: In meiner Laufbahn habe ich nur mit drei bis fünf weiblichen Metallurgen zusammengearbeitet. Es ist also ein sehr geringer Prozentsatz, das gilt vor allem in der Schwerindustrie wie Schmieden und Stahlerzeugung. Mit diesen Industrien sind mit bestimmten Vorstellungen verbunden und ich denke, dass das beeinflusst, in welchen Branchen Frauen arbeiten wollen. In der Luft- und Raumfahrt oder in der Automobilindustrie beispielsweise ist der Frauenanteil höher, sowohl bei den Ingenieurinnen als auch bei den Metallurgen. Ich denke, dass die Schwerindustrie ein wenig hinterherhinkt, wegen ihres Images. In den Berufsverbänden, denen ich angehöre, sind etwa 25 Prozent bis 30 Prozent der Mitglieder Frauen. Und ich finde das großartig. Ich beobachte auch, dass dieser Anteil im Laufe meiner Karriere stetig zunimmt. Und das gilt insbesondere für Metallurgen.
"Einen Mentor zu haben, ist ein enormer Vorteil."
Was könnte Ihrer Meinung nach den Einstieg für Frauen in diesen Bereich erleichtern?
Sue Schreiner: Eine Sache ist, sich bewusst zu machen, dass es erfahrenere Frauen gibt, die vor den gleichen Hürden standen und diese überwanden. Das ist eine enorme Hilfe. Und wenn man sich mit diesen Frauen austauscht, kann das für einen persönlich und für das Vorankommen in der Karriere von großem Vorteil sein. Natürlich ist Networking grundsätzlich großartig. Aber noch besser ist es, einen Mentor oder mehrere Mentoren zu haben, mit dem man immer reden kann. Ich hatte zu Beginn meiner Karriere eine Mentorin. Sie ist eine wunderbare Metallurgin, die in der Industrie tätig war und jetzt eine Professorin ist. Der Rat, den sie mir als junge Ingenieurin gab, war von unschätzbarem Wert. Wichtig ist die Einsicht, dass man vor Herausforderungen stehen wird. Aber das sind Herausforderungen, die viele andere Frauen auch kennen. Es geht also darum, zu verstehen, dass man nicht allein ist und dass man Hilfe hat.
Wo können junge Frauen, mit diesen erfahreneren Frauen in Kontakt treten?
Sue Schreiner: Es gibt da draußen Organisationen, in denen sich Mitglieder einer Branche vernetzen. Die "Society of Women Engineers in the United States" zum Beispiel ist eine wirklich gute Anlaufstelle für junge Frauen, die sich mit dem Gedanken tragen, Ingenieurin zu werden, oder bereits dabei sind. Die Organisation, in der ich am aktivsten bin, ist die "American Society for Materials". Das ist eine Organisation für Ingenieure aus dem Bereich der Materialwissenschaften. Ich engagiere mich vor allem auf lokaler Ebene, habe aber auch einige ihrer Kurse und Camps für junge Menschen, die sich für den Ingenieurberuf interessieren, geleitet. Einige meiner ältesten Kinder sind bereits in der Industrie tätig. Einer von ihnen ist promovierter Metallurge. Es ist wirklich befriedigend, der nächsten Generation zu helfen und ihr den Weg zu ebnen, damit dieser nicht ganz so schwer ist.
"Ich habe mich vom ersten Tag an wertgeschätzt gefühlt."
Wie war Ihr Einstieg bei thyssenkrupp rothe erde? Haben Sie sich willkommen gefühlt?
Sue Schreiner: Mein Start bei thyssenkrupp rothe erde war ziemlich einzigartig. Ich dachte, der erste Tag würde relativ normal verlaufen. Man kommt zur Tür herein, sagt 'Hallo!' zu den Leuten, unterschreibt ein paar Papiere, wird durch Gebäude geführt. Solche Dinge eben. Als ich zur Tür hereinkam, wurde ich von unserer Empfangsdame und unserem Personalleiter begrüßt. Er sagte: 'Sie müssen Sue sein.' Ich sagte: 'Ja.' Und er sagte: 'Großartig, wir würden Sie gerne einführen, aber', und an diesem Punkt kriegte ich schon Angst, weil ich dachte, sie würden mir sagen, dass sie mich nicht mehr brauchen, 'aber ich fürchte, wir müssen unsere Pläne auf Eis legen, weil Sie jetzt dringend bei einem Meeting gebraucht werden. Okay?' Na toll. Ich habe ihn kaum kennengelernt. Ich habe kaum jemanden kennengelernt. Und ich werde in einer Sitzung für einen Prozess gebraucht, den ich wirklich noch nicht kenne. Ich dachte: 'Na gut, das ist auf jeden Fall mal was Neues.‘ Also wurde ich in ein anderes Gebäude gebracht, um eine ganze Reihe von Leuten zu treffen, die ich noch nie zuvor getroffen hatte. Und ich wurde in ein ziemlich komplexes Problem eingewiesen. Es gab einige Verarbeitungsprobleme mit einem ziemlich teuren Bauteil. Sie baten mich um Hilfe, wie man das Problem beheben könnte, da sie es nicht verschrotten wollten. In den nächsten Tagen konnten wir das Teil schließlich reparieren und versandfertig machen. In diesen fünf Tagen oder so lernte ich die anderen Mitarbeiter und andere Einrichtungen kennen und fand heraus, wo überhaupt die Toiletten sind. Man kann also sagen, dass ich mich nicht nur willkommen, sondern wertgeschätzt gefühlt habe. Und das ist wahrscheinlich noch wichtiger, als sich nur willkommen zu fühlen.
Wann haben Sie bei thyssenkrupp rothe erde angefangen und wo haben Sie davor gearbeitet?
Sue Schreiner: Ich habe im April 2017 bei thyssenkrupp rothe erde angefangen. Davor habe ich in drei Stahlwerken gearbeitet, in zwei anderen Schmiedewerken und in einem Kaltumformwerk. Und ich habe ein Jahr lang Keramik hergestellt. Das zeigt die Vielseitigkeit eines Studiums der Materialwissenschaften. Ich bevorzuge zwar die Metallbranche, kann aber auch in anderen Bereichen arbeiten, zum Beispiel mit Polymeren oder Halbleitern. Das ist vor allem gut, wenn man aus der Schule kommt, denn man kennt sich mit vielen verschiedenen Dingen aus, aber man ist nicht wirklich spezialisiert. Diese Spezialisierung erfolgt oft erst Jahre nach dem Eintritt in das Berufsleben. In der Ausbildung erhält man eine gute Grundlage, aber das wirkliche Wissen erhält man, wenn man als Ingenieur in der Praxis arbeitet. Dort findet man heraus, was einem gefällt, in welchen Bereichen man und sogar in welchen Branchen oder innerhalb welcher Prozesse man wirklich gerne arbeitet.
"Ich habe ‚Material Science and Engineering’ studiert."
Was und wo haben Sie studiert und wie war Ihr beruflicher Werdegang, bis Sie Metallurge wurden?
Sue Schreiner: Ich bin seit 23 Jahren als Metallurge tätig. Das übergeordnete Fachgebiet heißt ‚Material Science and Engineering’. Die Metallurgie ist ein Teilbereich davon. Ich habe mein Undergraduate-Studium an der Case Western Reserve University in Cleveland absolviert. Nach dem Studium wollte ich eine Zeit lang arbeiten. Ich begann meine Karriere mit dem Kaltschmieden von Verbindungselementen und Schweißbolzen. Danach habe ich mich mit dem Warmschmieden von Superlegierungen auf Nickelbasis, Titan, Aluminium, Stahl und allen möglichen anderen Materialien beschäftigt. Während dieser Zeit beschloss ich auch, mich weiterzubilden, und so besuchte ich neben meiner Arbeit auch noch einmal die Universität und machte ein Graduate-Studium ebenfalls in ‚Material Science and Engineering’. Ich habe insgesamt etwa 10 Jahre in der Stahlerzeugung und etwa 10 Jahre beim Schmieden verbracht.
"Ich wollte Astronaut werden."
Und wie war es in Ihrer Kindheit, bevor Sie Ihr Studium begannen? Wollten Sie schon immer etwas Technisches machen?
Sue Schreiner: Ich habe die Naturwissenschaften immer geliebt, schon seit ich denken kann. In der Schule hatte ich eine sehr starke Affinität zu Mathe und war sehr gut darin. Es ging aber eigentlich noch früher los: ich erinnere mich daran, dass ich 1981 den ersten Start der Raumfähre Columbia gesehen habe. Ich war noch nicht sehr alt, aber ich kann mich erinnern, dass ich staunend hinschaute und mich fragte: ‚Wie funktioniert das? Wie kontrolliert man das?‘ Das waren nur flüchtige Gedanken aber die Wissenschaft war schon immer Teil von mir. Ursprünglich wollte ich auch Astronautin werden, und dabei ist es auch lange geblieben. Aber man geht nicht einfach nur zu einer bestimmten Schule, um Astronaut zu werden. Ich fand heraus, dass die meisten Astronauten einen naturwissenschaftlichen oder technischen Hintergrund haben oder beides, vielleicht auch Medizin. Also dachte ich: ‚Vielleicht sollte ich Luft- und Raumfahrttechnik studieren, um so zu werden wie Neil Armstrong.‘ Und konkreter wurde es noch durch meinen Vater. Von klein auf bis zur High-School, bin ich etwa einmal im Jahr mit ihm zur Arbeit gefahren, recht häufig also. Mein Vater war technischer Zeichner und indem er mich an seinen Arbeitsplatz mitnahm, hat er etwas sehr Prägendes für mich getan. Ich habe nicht den ganzen Tag mit meinem Vater verbracht, sondern einen großen Teil mit den Leuten, mit denen mein Vater arbeitete, die zufällig Ingenieure waren. Ich konnte sehen, was ein Ingenieur tagtäglich tut, ich konnte durch die Anlagen gehen, Systeme sehen und alle möglichen Dinge erleben, die die meisten Kinder vielleicht nicht erleben würden.
Und wie sind Sie zu dem Bereich Materialwissenschaften gekommen?
Sue Schreiner: Als ich in der High School war, hatte ich eine sehr einflussreiche Chemielehrerin an der High-School. Jeden zweiten Dienstag brachte sie eine Person aus der Belegschaft mit, deren Karriere mit der Chemie zu tun hatte. Ich war ein Nerd. Ich war einer der Laboranten für meine eigene Klasse und für andere Klassen. Ich saß hinten und reinigte Gläser und hörte diesem Herrn zu, der darüber sprach, dass er ein Keramikingenieur sei. Ich saß also da und schaute mir die Glasarbeiten an und dachte: ‚Das klingt irgendwie interessant.‘ Ich ging in die Bibliothek, weil es damals noch kein Internet gab, und fand heraus, dass Keramikingenieurwesen Teil eines größeren Fachgebiets namens ‚Material Science and Engineering’. ist.
Und warum Metallurgie?
Sue Schreiner: Ich fand heraus, dass die Metallurgie auch Teil der Materialwissenschaft ist und dass meine Familie einen umfangreichen Hintergrund in der Metallurgie hatte. Meine Mutter sagte mir: 'Wusstest du das? Dein Großvater war zu Beginn seiner Karriere Metallurge". Ich hatte wirklich keine Ahnung. All diese Umstände haben mir geholfen, meinen Weg zu finden. Die Lehrer, meine Eltern, mein Highschool-Lehrer, meine Erfahrungen - sie alle halfen mir zu erkennen, was für mich richtig war. Und ich habe diesen Pfad nie verlassen.
"Metallurgen müssen widerstandsfähig sein."
Welche Charaktereigenschaften muss man haben, um Metallurge zu werden?
Sue Schreiner: Da man in der Wissenschaft und im Ingenieurwesen tätig ist, sollte man natürlich Naturwissenschaften mögen. Es ist wirklich wünschenswert, dass man auch Mathematik mag. Am Anfang braucht man Mathematik schon für das Studium selbst. Aber auch später im Beruf hilft das besser zu verstehen, warum bestimmte Dinge so funktionieren, wie sie es tun. Das sind dann Zusammenhänge, die man nicht unbedingt jeden Tag berechnen muss. Aber um konzeptionell zu verstehen, was in einem Prozess oder bei einer Reaktion passiert, ist das Verständnis von Mathematik wichtig. Davon abgesehen: In vielen der Branchen, in denen Metallurgen arbeiten, muss man ein ziemlich belastbarer Mensch sein. Nicht jeder wird mit einem auskommen und nicht jeder wird die eigenen Ideen gut finden. Es ist wichtig, dass man in der Lage ist, Meinungsverschiedenheiten auszuräumen und sein Ziel nicht aus den Augen zu verlieren.
In den späteren Phasen ihrer Karriere: Welche Hürden müssen Frauen als Ingenieurinnen überwinden, wenn sie erfahrener sind?
Sue Schreiner: Eine der größten Hürden, auf die ich gestoßen bin, ist wahrscheinlich die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Als Ingenieurin ist es sehr leicht, sich in ein Projekt zu vertiefen und 12 Stunden auf der Arbeit zu verbringen. Manchmal verliere ich die Zeit aus den Augen. Aber ich bin jetzt älter, ich habe eine Familie. Ich habe Verpflichtungen außerhalb der Arbeit. Neben der Arbeit gelten viele Frauen immer noch als die Hauptversorgerinnen ihrer Familien, selbst wenn sie Vollzeit arbeiten. Man muss also genug Zeit haben, um seine beruflichen Pflichten zu erfüllen, sie gut zu erfüllen, und dann nach Hause zu gehen und im Grunde einen zweiten Job anzutreten. Das kann sehr anstrengend sein, und ich würde nicht sagen, dass alle Arbeitgeber dafür Verständnis aufbringen.
Wenn Sie auch das Interview mit ihrer Kollegin aus den USA, Lynn Bierworth, lesen möchten, folgen Sie diesem Link.