Die Anforderungen kommen von der Kundschaft und drücken sich in verschiedenen Korrosionsschutzklassen aus: Von C1 bis C5 – und seit einiger Zeit CX. „Die Klasse C1 wäre für die Situation im Büro: es ist geheizt, trockene Luft, Dach überm Kopf“, so Jürgens. „C4 könnte dann eine Windkraftanlage auf dem flachen Land sein, wie etwa hier bei uns in der Region. Und CX ist dann die Offshore-Anlage auf dem Meer.“
Jürgens und seine Kolleg:innen decken das gesamte Spektrum ab. Bei niedrigen Anforderungen kann schon das Fetten oder eine Ölschicht, die regelmäßig nachgetragen wird, gegen Korrosion ausreichen.
Doch bei der Klasse CX muss Jürgens tiefer in die Trickkiste greifen. So bereiten die Beschichter:innen ein Blattlager für den Einsatz auf dem Meer vor:
„Wir beschichten fertig montierte Bauteile. Die kommen direkt aus der Produktion, wo mit Öl- und Schmierstoffen gearbeitet wird. Es ist nicht zulässig, wenn diese sich im Strahlmittel anreichern“, erklärt Jürgens. „Wir reinigen die Lager mit Tüchern und speziellen Reinigungsmitteln.“ Zusätzlich enthält das später eingesetzte Strahlmittel auch ein Additiv, das ölige Verunreinigungen entfernt.
Je nach Anwendungsfall und Vorgabe dürfen Teilbereiche des Lagers nicht beschichtet werden. Jürgens: „Sie dürfen in bestimmten Fällen nicht durch Lacke, die thermische Spritzschicht und Strahlen beeinflusst werden. Das hängt mit den technischen Anforderungen zusammen.“
Die Lager werden daher vor dem Strahlen maskiert. Das heißt: Bohrungen, teilweise Hunderte pro Lager, werden mit Silikonstopfen verschlossen, Teile wie die Zentrierung oder die ganze Verzahnung werden abgeklebt.
„Im Fall der Blattlager werden aber die Bohrungen mitbeschichtet“, sagt Jürgens. „Hier sind die Korrosionsschutzforderungen sehr hoch.“
In einige der Bohrungen stecken die Beschichter:innen Mitlaufproben. Diese ähneln Stopfen aus Stahl, die nach der Bearbeitung herausgenommen werden und an denen gemessen wird, wie gut die Beschichtung haftet. So wird die frisch aufgetragene Beschichtung auf dem Großwälzlager nicht durch das Messen zerstört.
Beim Strahlen beschießt ein:e Mitarbeiter:in das Lager mit einem Strahlmittel, das mit Druckluft aus einer Strahldüse geschossen wird. Das Strahlen raut das Lager auf und vergrößert so seine Oberfläche. Damit wird die mechanische Verbindung mit dem thermischen Spritzmittel, das später aufgetragen wird, ermöglicht.
„Wir benutzen ein sogenanntes kantiges Strahlmittel“, sagt Jürgens. „Das sind Stahlkörner, die im Herstellungsprozess noch einmal gebrochen werden. Dafür verwenden wir ein Betriebsgemisch aus größeren und kleineren Körnern. Die größeren runden mit der Zeit ab, da wir das Strahlmittel wiederverwenden. Die kleinen nicht und so bleibt die Wirkung länger erhalten.“
Der Mitarbeitende, der in der geschlossenen Strahlkabine die Oberfläche bestrahlt, mutet wie ein Feuerwehrmann oder eine Feuerwehrfrau an. Die Strahldüse hängt an einem Schlauch, dick wie die, welche bei der Feuerwehr im Einsatz sind. Über diesen Schlauch wird das Strahlmittel transportiert. Der:die Beschichter:in trägt dabei einen Helm mit Frischluftzufuhr, damit er oder sie entstehenden Staub nicht einatmet.
„Das manuelle Strahlen ist eine körperlich anstrengende Arbeit“, betont Jürgens. „Man kommt ins Schwitzen.“ Beim automatisierten Ablauf ist das Lager auf einem rotierenden Tisch fixiert, die Strahldüse hält ein Roboterarm, der die Konturen abfährt.
Nachdem eine Seite fertig aufgeraut ist, wenden die Beschichter:innen das Großwälzlager. Im Falle des Blattlagers bestrahlen sie auch die Bohrungen.
Zum Abschluss wird die Rauigkeit gemessen. Jürgens „Das Messgerät für Rauigkeit hat eine Diamantspitze und fährt eine definierte Strecke auf der Oberfläche ab. Dabei misst es im mikroskopischen Bereich mit der Spitze den tiefsten Punkt und den höchsten Punkt, das ergibt einen Ausschlag, aus dem der sogenannte Rz-Wert errechnet wird.“
„Es gibt verschiedene thermische Spritzverfahren“, erläutert Jürgens. „Bei uns wenden wir das Lichtbogenspritzen an. Dabei fördern wir zwei Spritzdrähte, entweder aus Zink oder Zink-Aluminium, in separaten Schläuchen vor. An einer Düse kommen diese zusammen. Da der eine Draht als Pluspol und der andere als Minuspol geschaltet ist, entsteht ein elektrischer Lichtbogen, der die Drähte schmilzt.“
Das Gerät dafür heißt Beschichtungsbrenner und sieht so ähnlich wie eine futuristische Kanone aus. Zwei dünne Schläuche, in denen die Drähte sind, führen hin zur Düse. Der:die Beschichter:in hält gezielt auf die zu beschichtende Oberfläche und versprüht den aufgeschmolzenen Spritzdraht. Man sieht den grellen Lichtbogen und bei ganz genauem Hinsehen erkennt man, dass auch eine schützende Schicht aufgetragen wird.
Jürgens: „Das geschmolzene Material beschleunigen wir mit Druckluft und schleudern diese flüssigen Partikel auf die Oberfläche, wo sich eine graue, lammelenartige und leicht poröse Struktur bildet.“
Und nun kommt auch die Rauheit der Oberfläche ins Spiel. „Dadurch, dass die Oberfläche rau ist, findet hier eine mechanische Verklammerung zwischen der Oberfläche und dem Spritzmittel statt. Es gibt auch galvanische Verfahren, die dann auf atomarer Ebene eine Verbindung erzeugen, bei diesem Verfahren erfolgt das aber rein mechanisch.“
Die poröse Struktur versiegeln die Beschichter:innen danach noch, was ihr zusätzlich bessere Haftungseigenschaften verleiht.
Die Befestigungsbohrungen werden bei diesem Arbeitsschritt nicht komplett mit beschichtet, es entsteht aber ein Überlauf des Spritzmittels, der so genannte Overspray. Die Übergänge sind also ebenfalls mit Zink oder Zink-Aluminium beschichtet. Und das hat einen guten Grund: „Beim Einstecken der Schrauben zerkratzen die Monteur:innen die Oberfläche gerne einmal. Das lässt sich nicht immer verhindern. Bei der Zinkschicht ist es aber so, dass der Korrosionsschutz eine gewisse Fernwirkung hat“, sagt Jürgens. „Selbst wenn die Monteur:innen einen Kratzer bis auf die blanke Fläche machen, wenn zwei bis drei Millimeter daneben die Zinkschicht ist, wirkt der Schutz auch auf dem Kratzer.“
Warum werden dann nicht auch die Bohrlöcher komplett thermisch beschichtet? Jürgens: „Ganz einfach: der Beschichtungsbrenner ist recht groß und braucht einen gewissen Spritzabstand. Die Bohrlöcher sind dafür aber zu klein, eine gezielte Beschichtung ist so nicht möglich.“
Nun polieren Jürgens und seine Kolleg:innen die Dichtungslaufflächen, dann demaskieren sie das Lager, öffnen alle Bohrungen und entfernen die Klebebänder. So wäre das Lager fertig beschichtet, was je nach Anwendungsfall schon für den Korrosionsschutz ausreichen würde. Für Blattlager im Offshore-Bereich jedoch nicht. Die Bohrlöcher benötigen noch eine Lackschicht.
Die Bohrungen der Blattlager werden nun mit einer Lackierlanze lackiert. Ein:e Beschichter:in führt diese ein, wo sie im 360-Grad-Winkel das Bohrloch lackiert. „Das erfüllt somit die höchste Korrosionsschutzklasse“, sagt Jürgens.
Warum wird dann nicht das ganze Lager lackiert? „Das passiert je nach Kundenwunsch auch, das ist eine Philosophiefrage für manche Kunden und Kundinnen“, sagt Jürgens. „Sie möchten alle Bauteile in ihrer Markenfarbe haben. Wir erfüllen gerne jeden Wunsch, aber sehen das aus Kosten- und Produktionsgründen eher pragmatisch. Nach einer Lackierung brauchen wir eine gewisse Trocknungszeit und können das Lager nicht weiterbearbeiten, Dichtungen einsetzen oder weitere Arbeitsschritte durchführen. Das erhöht die Durchlaufzeit schon bei einer Lackschicht um bis zu eine zusätzliche Woche. Bei mehreren Schichten macht das viel aus. Beim thermischen Aufspritzen hingegen können wir sofort weitermachen, es wird nicht einmal besonders warm.“
Und die Schutzwirkung? Jürgens: „Das ist klar definiert nach einer Normenreihe für Beschichter:innen. Und als Korrosionsschutz ist dann eben vieles möglich: thermisches Aufspritzen, ganz ohne oder in Verbindung mit Lackierung; oder nur mit Lackierung. Je nachdem verändert sich die geforderte Schichtdicke, aber die Schutzwirkung ist dann bei allen Vorgehensweisen erreicht.“
Zum Abschluss erfolgen schließlich die finale Qualitätsprüfung und Schichtdickenmessung und alles wird protokolliert. Die Mitarbeitenden von Rothe Erde tauschen zusätzlich noch Dichtungen und Schmiernippel und messen den Drehwiderstand.
Und nun ist das Blattlager bereit für die nächsten 20 Jahre auf dem Meer.