thyssenkrupp rothe erde startet bundesweit größte Anlage zur Dekarbonisierung
Lippstadt. thyssenkrupp rothe erde beschreitet beim Klimaschutz neue Wege: mit einer in dieser Form bundesweit bislang einmaligen Karbonisierungsanlage macht das Unternehmen mit einer innovativen Technologie einen großen Schritt in Richtung CO2-Reduzierung. Die Anlage ist eine der Formen des Carbon Dioxide Removal (CDR), womit Prozesse bezeichnet werden, bei denen C02 aus der Atmosphäre entnommen und anschließend dauerhaft gespeichert wird.
In der Karbonisierungsanlage wird Restholz in einem Pyrolyseverfahren verkohlt. Dabei entstehen regenerative Wärme und Pflanzenkohle, so genannte Biochar. „Unsere Karbonisierungsanlage ist in ihrer Dimension bundesweit einzigartig und integriert zum ersten Mal negative Emissionstechnologie in einem deutschen Industriekonzern“, erklärt Dr. Wilfried Spintig, COO bei thyssenkrupp rothe erde. „Wir nutzen die beim Pyrolyseprozess entstehende Wärme für unseren Produktionsstandort in Lippstadt und können damit rund 40% unseres Wärmebedarfs vor Ort decken.“ Diese erneuerbare Wärme ersetzt vormals fossile Energieträger. Zum Vergleich: die in der Anlage produzierte Wärme entspricht dem jährlichen Bedarf von knapp 300 Vier-Personen-Haushalten.
Die erfolgreiche industrielle Integration der Karbonisierungsanlage wird durch eine besondere Zusammenarbeit möglich: Das Carbon Removal Start-Up Novocarbo GmbH verantwortet die Qualitätssicherung des Produktionsprozesses, vertreibt die Biochar und erzeugt und vermarket die entstehenden Carbon Removal Zertifikate. Das Maschinenbauunternehmen PYREG GmbH aus Dörth liefert und installiert mit der PX1500 die neuste Generation ihrer NetZero-Technologie.
Starthilfe für die Dekarbonisierung der Industrie
Als Ausgangsmaterial wird in Lippstadt unbearbeitetes und unbelastetes Holz eingesetzt, das zum einen aus Verpackungsresten, zum anderen aus entsprechend getrocknetem Grünschnitt besteht. Aus jährlich rund 2.500 Tonnen Restholz entstehen so über 5.300 MWh Wärme und rund 640 Tonnen Biochar, die unter anderem als Bodenverbesserer in der Landwirtschaft eingesetzt wird. „thyssenkrupp rothe erde wird bis 2050 klimaneutral sein, dafür sind wir ständig auf der Suche auch nach neuen Wegen, um die Dekarbonisierung bei uns umzusetzen“, erklärt Wilfried Spintig. „Diese Anlage ist auch für uns ein Pilotprojekt und kann in unseren Augen ein Baustein für eine sinnvolle Starthilfe auf dem Weg zur Dekarbonisierung auch anderer Industrien sein.“
1.500 Tonnen CO2 pro Jahr über Jahrtausende gebunden
Zum Einsatz kommt in Lippstadt die Anlage PX 1500 des rheinland-pfälzischen Technologiespezialisten Pyreg. „Die Dekarbonisierungsanlage schafft zu 100% erneuerbare Energie, wobei nur zum Start der Anlage externe Energie zugeführt werden muss“, erklärt Jörg zu Dohna, CEO bei Pyreg. Bei dem Verkohlungsprozess entstehen nämlich auch Gase, die die Anlage nach Erreichen der Betriebstemperatur von rund 700° autotherm, also quasi von selbst am Laufen halten. Wärme führt unter den erneuerbaren Energien noch ein Schattendasein: „Während beim Strom schon knapp die Hälfte der Energie aus erneuerbaren Quellen kommen, sind es bei der Wärme gerade einmal zwei Prozent“, erklärt Jörg zu Dohna. „Die Verkohlung ist insofern ein ‚doppeltes‘ Klimaschutz-Instrument: Sie schafft erneuerbare Energie und bindet das im Grünschnitt bereits sequestrierte CO2 dauerhaft in der Biochar.“
Biochar als klimaschonendes Endprodukt
Würde man beispielsweise den Grünschnitt einfach verrotten lassen, würde das in ihm im Wege der Photosynthese gespeicherte CO2 klimaschädlich freigesetzt.
„Eine Tonne Biochar bindet dabei je nach Kohlenstoffgehalt und weiterer Verwendung circa 2,5 bis 2,8 Tonnen CO₂. Die Biochar entsteht in einem verbrennungsfreien Prozess. Wird sie dann etwa als Füllmittel in Baustoffen eingesetzt, landet das CO₂ in einer permanenten Kohlenstoffsenke und ist über Jahrtausende sicher gespeichert.“, erklärt Caspar von Ziegner, CEO bei Novocarbo, Marktführer im Bereich Biochar.
Die in Lippstadt produzierte Biochar durchläuft gerade die Prüfung zum European Biochar Certificate (EBC), einem Qualitätsstandard und Kontrollzertifikat. „Biochar wird hauptsächlich als Bodenverbesserer in der Landwirtschaft, Torfsubstitut in der Erdindustrie, oder im Regenwassermanagement für blau-grüne Infrastrukturprojekte eingesetzt“, erläutert Caspar von Ziegner. Zudem ersetzt die Biochar fossile oder emissionsstarke Ressourcen in der Industrie, zum Beispiel Formteile aus Kunststoff, Bodenbelägen oder als Zuschlagsstoff im Beton. „Die CO₂-Entnahme aus der Atmosphäre in Kombination mit regenerativer Wärmeproduktion und den vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von Pflanzenkohle sind wichtige Puzzlestücke unserer klimaneutralen Gesellschaft von morgen,“, so der Novocarbo-CEO.